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Hohe Viruslast bei Delta möglich Sind infizierte Geimpfte hochansteckend?

Wenn sich Menschen trotz Impfung mit Covid-19 infizieren, können sie eine so hohe Viruslast entwickeln wie Ungeimpfte. Aber das bedeutet nicht unbedingt, dass sie ebenso ansteckend sind.

Wenn sich Menschen trotz Impfung mit Covid-19 infizieren, können sie eine so hohe Viruslast entwickeln wie Ungeimpfte. Aber das bedeutet nicht unbedingt, dass sie ebenso ansteckend sind.

(Foto: picture alliance/dpa/AP)

Studien stellen fest, dass vollständig Geimpfte bei einer Infektion mit der Delta-Variante von Sars-CoV-2 ähnlich hohe Viruslasten im Rachen haben können, wie dies bei Ungeimpften der Fall ist. Dies könnte bedeuten, dass sie dann auch ebenso ansteckend sind, muss es aber nicht.

Dass die Delta-Variante (B.1.617.2) des Coronavirus Sars-CoV-2 nochmal deutlich ansteckender ist als die zuvor dominierende Alpha-Mutante (B.1.1.7) ist schon länger bekannt. Mehrere Studien haben auch bereits belegt, dass die Impfstoffe vor einer Infektion mit Delta weniger effektiv schützen.

Bisher ging man aber davon aus, dass vollständig Geimpfte nicht nur weiter sehr gut vor schweren Erkrankungen geschützt sind, sondern im Falle einer Infektion auch wesentlich weniger ansteckend sind als Ungeimpfte. Doch jüngste Studien bringen diese These ins Wanken, denn sie haben bei beiden Gruppen eine gleich hohe Viruslast im Rachen festgestellt.

Impfdurchbrüche keine Überraschung

Impfdurchbrüche beunruhigen die Bevölkerung, erst recht, wenn es immer mehr werden. Doch die Tatsache an sich, dass sich auch vollständig Geimpfte mit Covid-19 anstecken können, ist nicht überraschend. Man ist nie davon ausgegangen, dass die Vakzine Infektionen zu 100 Prozent verhindern können. Selbst wenn ein Impfstoff das Risiko einer Infektion um 95 Prozent senkt, gibt es bei hohen Impfquoten und hohen Inzidenzen entsprechend viele Durchbrüche. Und je höher der Anteil der Geimpften ist, desto stärker wächst auch ihr Anteil an den Infektionen.

Das Robert-Koch-Institut (RKI) geht in seinem jüngsten Wochenbericht davon aus, dass Delta die Effektivität der Vakzine bei den über 60-Jährigen auf 87 Prozent gedrückt hat, bei den 18- bis 59-Jährigen auf 88 Prozent. Insgesamt hat die Behörde bisher 8715 Impfdurchbrüche registriert. Vom 5. Juli bis zum 1. August machten sie damit 27,5 Prozent aller Infektionen aus. Die Dunkelziffer könnte noch höher sein, da Geimpfte seltener getestet werden und Infektionen bei ihnen meistens sehr mild und oft symptomlos verlaufen. Lediglich 808 der Impfdurchbrüche mussten im Krankenhaus behandelt werden.

Impfungen bei Älteren weniger effektiv

In Großbritannien registrierte die Gesundheitsbehörde Public Health England (PHE) bis zum 2. August 300.000 Delta-Infektionen, 47.000 der Betroffenen waren doppelt mit dem Vakzin von Biontech oder Astrazeneca geimpft. Bemerkenswert ist, dass aus dieser Gruppe 402 der bisher 670 Delta-Toten stammen. 389 von ihnen waren allerdings über 60 Jahre alt. Mit zunehmendem Alter sinkt die Effektivität der Vakzine, von den schwer erkrankten vollständig Geimpften haben außerdem sehr viele Vorerkrankungen.

Einer israelischen Studie nach hatten von 152 zwischen Januar und April hospitalisierten doppelt Geimpften nur sechs keine Vorerkrankung. Alle 32 Todesfälle gehörten zur vorbelasteten Gruppe. Die Studie kommt außerdem zu dem Ergebnis, dass offenbar bei den Impfdurchbrüchen mit einer steigenden Viruslast das Risiko eines schweren Verlaufs zunimmt.

Gleich hohe Viruslast bei Geimpften und Ungeimpften

Sars-CoV-2 kann sich also bei entsprechenden Vorbedingungen auch in den Körpern vollständig Geimpfter stark vermehren. Aktuelle Daten aus den USA und Großbritannien belegen, dass bei Impfdurchbrüchen mit der Delta-Variante sogar gleich hohe Viruslasten wie bei ungeschützten Angesteckten auftreten.

Das wiederum könne bedeuten, dass infizierte Geimpfte nach einer Infektion ebenso hochansteckend sind wie infizierte Ungeimpfte, berichtet die PHE. Sie bezieht sich dabei auf eigene Auswertungen von PCR-Tests, bei denen der Ct-Wert bestimmt wurde. Der Wert gibt die Anzahl der Zyklen an, die zum Nachweis von Sars-CoV-2 benötigt werden. Niedrigere Werte bedeuten höhere Viruslasten.

Die PHE schränkt ein, dass die Ergebnisse durch die Auswahl der Testergebnisse verfälscht sein könnten. Außerdem spiele das Alter der Personen mit Impfdurchbrüchen eine Rolle, was die Höhe des Ct-Werts beeinflusse.

Auch die US-Behörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC) schreibt, die Delta-Variante scheine die gleich hohe Viruslast bei Geimpften und Ungeimpften zu erzeugen. Sie hat einen Ausbruch im Juli in Massachusetts ausgewertet. Von 469 Infektionen traten 346 bei Menschen auf, die vollständig geimpft waren. Die Auswertung von 172 beziehungsweise 84 Proben aus beiden Gruppen ergab bei der Viruslast keine Unterschiede.

Ein Preprint der University of Wisconsin, deren Forscher 291 Proben analysierten, kommt zum gleichen Ergebnis. 79 positive Tests stammten von doppelt Geimpften, von denen 66 ähnlich niedrige Ct-Werte aufwiesen wie die Tests von den Ungeimpften. In 26 Fällen waren die Werte sogar extrem niedrig.

Test-Zeitpunkt ist entscheidend

Die Wissenschaftler weisen aber ausdrücklich darauf hin, dass die Ergebnisse noch in Studien mit größeren Kohorten bestätigt werden müssen. Außerdem sei der Vergleich von Ct-Werten aufgrund von einzelnen Proben, die zu bestimmten Zeitpunkten genommen wurden, möglicherweise irreführend. Man wisse nicht, wann im Infektionsverlauf der "Schnappschuss" aufgenommen wurde, schreiben sie.

Zu Beginn der Infektion als auch in der Abheilung kann ein hoher Ct-Wert auftreten. Insbesondere am Anfang einer Infektion ist der Wert trügerisch, da der Getestete binnen Stunden ansteckend werden kann. Ebenso bedeutet ein niedriger Ct-Wert nicht automatisch eine hohe Infektiosität. Denn er sagt nichts über die Vermehrungsfähigkeit von Viren aus. So kann zwar Virus-RNA nachgewiesen werden, die Viren können aber bereits durch das Immunsystem deaktiviert worden sein.

Es gäbe auch die Annahme, dass Symptome bei der Delta-Variante schneller auftreten, wodurch zu einem früheren Zeitpunkt getestet werde, zu dem Viruslasten höher seien, schreiben die Forscher der University of Wisconsin. Sie könnten so nicht sagen, ob eine Impfung die Dauer der hohen Virusausscheidung und damit die Wahrscheinlichkeit einer Weiterverbreitung verringere.

Viruslast sinkt bei Geimpften schneller

Das ist ein wichtiger Punkt, den die CDC aufgreift. Die Viruslast nehme bei Delta-Durchbrüchen schneller als bei infizierten Ungeimpften ab, schreibt sie. "Dies bedeutet, dass vollständig geimpfte Personen wahrscheinlich weniger lange infektiös sind als ungeimpfte Personen."

Möglicherweise bezieht sich die Behörde dabei auf ein aktuelles Preprint aus Singapur. Wissenschaftler aus zehn örtlichen Institutionen haben 218 positive Tests untersucht, 71 von durchgeimpften Personen. Bei der Diagnose seien die Ct-Werte beider Gruppen gleich hoch gewesen, schreiben sie. Aber die Viruslast habe bei den geimpften Personen schneller abgenommen.

Alex Cook von der Saw Swee Hock School of Public Health sagte der "South China Morning Post", die Studie zeige, dass bei geimpften Personen "die Viruslast nach sieben Tagen etwa gleich hoch ist wie bei ungeimpften Personen nach 14 Tagen".

Welche Rolle spielen T-Zellen?

Die rasche Abnahme der Viruslast ist vielleicht auf T-Zellen zurückzuführen, die der Körper nach einer Impfung produziert. Während die Antikörper (gebildet von B-Zellen) vereinfacht ausgedrückt eine Ansteckung verhindern, sind sie dafür da, eine Infektion zu bekämpfen. Sie tun dies, indem sie befallene Zellen anhand von Eiweißspuren des Virus identifizieren und vernichten. Mutationen können die "Killerzellen" (CD8+) schwieriger umgehen, da die Proteinerkennung bei allen Menschen verschieden funktioniert. Außerdem gibt es T-Helfer-Zellen (CD4+), die die B-Zellen bei der Bildung von Antikörpern unterstützen.

Welche Rolle die T-Zellen bei einer Covid-19-Infektion genau spielen, muss aber noch näher erforscht werden. "Ein Zuviel an sogenannten CD4+-T-Zellen scheint eher einen ungünstigen Krankheitsverlauf mit starken Entzündungsreaktionen zu bedingen", sagt der Münchner Infektiologe Clemens Wendtner. "Dagegen scheinen CD8+-T-Zellen eher schützend zu wirken und nach ersten Hinweisen auch die Erkrankung abzumildern. Aber es gibt auch eine Subgruppe an Patienten, genauer gesagt jeder fünfte Covid-19-Patient, der wohl keine Immunantwort, weder durch B- noch durch T-Zellen, entwickelt."

Delta offenbar mit Geschwindigkeitsvorsprung

Schon im Mai war die hohe Viruslast bei Delta-Infektionen ein Thema eines Preprints des Imperial College London. Die Daten deuteten darauf hin, dass das Virus "in menschlichen Atemwegszellen fitter ist", was eine erhöhte Viruslast in den infizierten Personen bedeute, wodurch sie mehr Viren in die Luft ausstießen, sagte Mit-Autorin Wendy Barclay. Testdaten zeigten, dass der Ct-Wert in Proben von Delta-Infizierten niedriger zu sein scheint.

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Studien mit Vorgängern von Delta kamen noch zu ganz anderen Ergebnissen, beispielsweise war das Resümee einer israelischen Forschung im März, dass der Ct-Wert bei infizierten doppelt Geimpften deutlich höher sei als bei ungeschützten Personen. Die Variante scheint also einen Geschwindigkeitsvorteil zu haben, den die Vakzine erst verzögert wettmachen können. Das heißt, bei Impfdurchbrüchen könnten Infizierte für einige Tage tatsächlich hochansteckend sein.

Erwiesen ist das zwar noch nicht, aber vor allem mit Blick auf den Beginn des neuen Schuljahres und den nahenden Herbst schadet es nicht, sich ein Beispiel an der CDC zu nehmen, die jetzt auch Geimpften empfiehlt, in Innenräumen Masken zu tragen.

Quelle: ntv.de

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